Ich erhielt einen Anruf von einem alten Bekannten. Er ist Musiker und berichtete, dass er nunmehr in einer Polka-Kapelle spielt.
„Das ist zum Geld verdienen“, führte er aus.
„Wir haben jede Menge Auftritte. Volksfeste, Kurkonzerte. Solche Sachen eben. Sag mal, schreibst du noch diese lustigen Texte?“
Ich hätte meine Texte niemals als „lustig“ bezeichnet. Nun ist man als Autor aber auch wenig geeignet, seine Werke objektiv beurteilen zu können.
„Warum fragst du?“, fragte ich.
„Wir machen auch eigene Sachen. Da fehlen Texte. Die Jungs bringen immer nur so ein Herz-Schmerz-Zeug zustande. Es müsste origineller sein. Schreib doch mal was.“
„Für eine Polka?“, vergewisserte ich mich.
„Klar. Ich melde mich wieder.“
Ich schrieb und er meldete sich. Wir verabredeten einen Termin im Proberaum der Kapelle.
„Da hören es gleich alle“, sagte mein Bekannter.
„Das wird am besten sein.“
Es war mir recht. Die Polka hatte mein Gemüt okkupiert. Ich betrat den Proberaum. Die Mitglieder der Kapelle saßen an einem langen Tisch. Sie sahen sehr ordentlich aus. Vor jedem stand eine Flasche Bier. Die Flaschen bildeten eine gerade Linie. Wie mit dem Lineal gezogen. Ich erschrak ein wenig bei dem Gedanken, dass es sich bei den Herren womöglich um Leute handelte, die es wörtlich meinten, wenn sie davon sprachen, ein Bier trinken zu gehen.
Ihre Instrumente standen an der Seite und glänzten. Ich verdrängte böse Gedanken und sagte:
„Die Bloß-ich-hab-nicht-mal-dich-Polka.“
Die Musikanten nahmen einen Schluck aus ihren Bierflaschen.
„Klingt gut“, sagte einer.
„Ich fange gleich mit dem Refrain an. Also:
Bloß ich
hab nicht mal dich.
Mir fehlt das Geld für eine halbe Stunde.
Das ist gemein.
Ich armes Schwein.
Die halbe Welt war schon in deinem Munde.
Die Verse sind jeweils zwei Vierzeiler“, erklärte ich der regungslosen Versammlung und machte weiter:
„Jeder Rabbi hat seine Thora.
Jede Klofrau hat ihre Bürste.
Jeder Zahnarzt hat seinen Bohrer
und jeder Fleischer hat seine Würste.
Jede Wüste hat ihre Oasen.
Jeder Scheich hat seine Kamele.
Jeder Krebs hat Metastasen
Und Venedig hat viele Kanäle.
Bloß ich hab nicht mal dich. . .
Der Refrain wie gehabt.“
Die Herren räusperten sich und fanden es an der Zeit, noch einen Schluck aus ihren Flaschen zu trinken. Da niemand etwas sagte, durchbrach ich das
Schweigen mit dem nächsten Vers:
Jeder Fußballklub hat Sponsoren.
Jede Wirtschaft hat Insolvenzen.
Jeder Hase hat große Ohren
und Grönland hat sichere Grenzen.
Jeder Künstler hat seine Tantiemen.
Jedes Stadion hat seinen Sprecher.
Jeder Boxer hat Härte im Nehmen
und der Kreml hat goldene Dächer.
Bloß ich
hab nicht mal dich.
Mir fehlt das Geld für eine halbe Stunde.
Das ist gemein.
Ich armes Schwein.
Die halbe Welt war schon in deinem
Munde.
„War ein Versuch“, sagte mein Bekannter, gleichermaßen an mich und seine Kollegen gewendet.
„Für unser Programm ist es wohl doch nicht das Richtige.“
Die Musikanten nickten stumm erleichtert und setzten die Bierflaschen an.
Ich verstaute die beiden Manuskriptblätter. Wir verabschiedeten uns mit Handzeichen. Es zog mich zu Menschen, die mehr als nur ein Bier trinken. Denen könnte ich den Rest meines Werkes vortragen:
Jeder Gangsta hat eine Pistole.
Jede Frau hat einen Vibrator.
Jedes Bergwerk hat genug Kohle
und Nordkorea hat einen Diktator.
Jeder Maurer hat seine Kelle.
Jeder Doktor hat viele Tabletten.
Jeder Anwalt hat seine Fälle
und die Feuerwehr hat viel zu retten.
Eine Melodie dafür wird sich schon finden lassen. So war es auch. Spät in der Nacht hat jemand eine Aufnahme gemacht. Siehe (bzw. höre) bei
Audio.
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